1 Tag mit
Vivian Aldridge
In unserer Serie ‹1 Tag mit› durften wir den Fachmann für kompensatorische Arbeitstechniken im Unterricht begleiten – zu einer Zeit als wir bei der SIBU Corona-bedingt auf Einzelunterricht umgestellt hatten.
Schon als Kind interessierte sich Vivian für die Brailleschrift und erlernte diese. Bald wurde ‹Braille› zu einem seriös betriebenen Hobby. Mit 16 legte er die Braille-Prüfung ab. Und mit 18 lernte er den ersten blinden Menschen kennen. Der Zufall wollte es, dass es in der Stadt in der Vivian Physik studierte auch eine Blindenschule gab. Dort fragte er nach, ob er Flötenstunden geben könnte. Was er danach erfolgreich tat. Als er im Flötenunterricht feststellte, dass man nicht Musiknoten in Braille lesen und gleichzeitig Flöte spielen kann, realisierte er, dass es hier andere pädagogische Ansätze braucht.
Der wissbegierige, aus England stammende Vivian verschrieb sich eine ganze Berufskarriere lang der Passion, die Brailleschrift in all ihren Formen zu verstehen und weiterzuentwickeln. Er trat nationalen und internationalen Gremien bei und prägte diese mit. Und so kam es, dass er – blindenschrifttechnisch – zu einer internationalen Koryphäe wurde.
Mit Serienbrief zur Anstellung in der Schweiz
Heute erklärt Vivian Aldridge seinen Schülern in einer Word 2-Unterrichtsstunde, wie sie einen Serienbrief erstellen können. Von einem Hauptdokument ist da die Rede, von einer Adress-Datei und der anschliessenden Zusammenführung zu einem Serienbrief. Vivian weiss genau, wovon er spricht. Schliesslich hat ihn selbst ein Serienbrief aufs Festland gebracht. 1989 suchte Vivian eine Anstellung im deutschsprachigen Raum. Er verschickte gegen 90 Serienbriefe an Blindenorganisationen in Europa. Eine davon stellte dann den Kontakt zu uns her. Und so kam es, dass der studierte Physiker in die Schweiz kam, um die ‹Eingliederungsstelle für Sehbehinderte›, heute bekannt als die SIBU, zu ergänzen. Dass dies damals wie heute eine Verstärkung war und ist, darüber sind sich wohl alle einig, die Vivian kennen. Der Mann bereichert nämlich jedes Team in dem er arbeitet.
Vielseitig einsetzbar
Vivian begann seine Laufbahn bei uns in der Informatik. Er hatte ähnliche Funktionen inne, wie dies heute die Kolleginnen und Kollegen im Bereich ‹Sehbehindertentechnische Unterstützung› haben. Später wechselte er in den Schulbereich, wo er verschiedene Leitungsfunktionen innehatte. Ausserdem war er als Ausbildungskoordinator, Leiter des BSS und als Lehrperson für verschiedene Schulfächer tägig. Er unterrichtete Fächer wie Informatik, Word 2, Wirtschaft, Staat & Recht oder Braille-Schrift.
«Für mich ist Sehbehinderung in erster Linie eine Beeinträchtigung des Überblicks» ...
... sagt Vivian Aldridge. Und der Fachmann für kompensatorische Fähigkeiten ergänzt: «Wo wir Sehende das grosse Ganze sehen und uns dann auf Details fokussieren, sehen sehbehinderte Menschen erst ein Detail und versuchen dann zum grossen Ganzen vorzustossen.» Was nicht immer so einfach ist. Da sind grössere und kleine Hilfen, Tricks oder alternative Wege nützlich, damit Aufgaben auch mit visuellem Handicap gelöst werden können.
Unterricht in Word2 und kompensatorische Arbeitstechniken
Hilfreich für die Computerbedienung mit einer Sehbehinderung ist es, die Maus durch Tastenbefehle zu ersetzen. Mit den Tastenkombinationen gelingt es, den durch die Vergrösserung des Dokumentes fehlenden Überblick zu kompensieren und in der Navigation direkt dorthin zu gelangen, wo man hinwill. In der Unterrichtsstunde zum Serienbrief heisst eine Formel z. B. ALT G D. Mit diesen drei Tasten gelangen die beiden Klientinnen, in den Bereich ‹Serienfeld einfügen› wo sie nacheinander die Anrede, Vorname und Name, die Strasse sowie PLZ und Ort in den Serienbrief einfügen können.
Auch im darauffolgenden Unterricht, bei dem es um ‹Kompensatorische Arbeitstechniken› geht, hilft das ‹Gewusst wie› weiter. Es geht darum, zu erlernen, wo im Alltag das Aufsprechen auf ein Sprachnotizgerät von Vorteil sein kann. Das Beispiel von Vivian Aldridge zur Anschauung: Er fragt in einer fremden Stadt, wo denn die Konzerthalle sei. Den Erklärungen des Passanten gut lauschend, wiederholt er am Schluss die Wegbeschreibung und nimmt sie gleichzeitig auf sein Sprachnotizgerät auf. Mit dieser Hilfe ist es ihm letztlich möglich, seinen Zielort zu finden.
Vom Lehrer zum Blindenlehrer
Ausgehend von seinem frühen Interesse für die Blindenschrift verfolgte Vivian also seinen Weg nach seinem Studium weiter. In England war es nicht möglich, direkt eine Ausbildung zum Blindenlehrer zu absolvieren. So wurde Vivian zuerst Lehrer. Nach 5 Jahren Berufserfahrung liess er sich dann zum Blindenlehrer ausbilden. Und das ist er in der Folge geblieben. Ein Lehrer der in seiner Karriere gelernt hat, dass Lösungen – so gut Standardlösungen auch sein können – immer auch das Individuum und seine Bedürfnisse berücksichtigen müssen. Erst dann greifen sie und werden für einen sehbehinderten Menschen zum Instrument, das sein Leben vereinfachen kann.